Habt ihr auch das Gefühl, dass bei Kritik gewalttätig werdende Muslime (nicht nur hier sondern auch bei Charlie Hebdo o.ä.) dazu führen, dass sich Islamkritik öfter verkniffen wird als Kritik an anderen Religionen? Insofern könnte man dieses Verhalten aus Sicht der muslimischen Fundamentalisten durchaus als “erfolgreich” bewerten, auch wenn es auf den ersten Blick nicht danach aussieht, oder?
Naja, Religionen sind schließlich für Jahrtausende die vorherrschenden Normengeberinnen gewesen bzw sind es auch immer noch. Was ist gut und böse, richtig und falsch, das sind alles Werte, die von Religionen vorgegeben werden/wurden. Daher vermischt es sich natürlich mit Heteronormen etc.
Ich würde sogar behaupten, dass selbst wenn eine Person in Deutschland atheistisch aufwächst, dass die Person trotzdem sehr viele christliche Normen und Werte mit auf den Weg bekommt. Schon alleine Moralvorstellungen sind so mächtig und die werden uns ja seit klein auf eingehämmert. Aber auch so klassische Tugenden oder andere Normen.
Und ja, ich stimme dir auch in allem gesagten zu. Wie (hoffentlich) gesagt, ich finde Religionen auch prinzipiell scheiße und würde sie gerne abschaffen. Ich wollte nur auf den Bias hinweisen, der eine vermeintliche Neutralität mMn unmöglich macht, eben weil wir in einem christlich dominierten, rassistischen und antisemitischen Land leben.
Und ich finde es auch oft anstrengend, wenn Komplexität nicht gesehen wird und Themen nur einseitig behandelt werden. Deshalb schätze ich es auch, wenn Menschen versuchen, andere Positionen als ihre eigene miteinzubringen :)
Ich mache jetzt mal was verrücktes und antworte in umgekehrter Reihenfolge.
Und ich schätze jede gute Diskussion, die so daraus erwächst. Da kann man immer was für sich mitnehmen, so zum Beispiel…
… die Erinnerung an dies. Das ist ja richtig und ich weiß von mir selbst, dass ich zuweilen voreingenommen, sicher wohl auch nach rassistischen Vorurteilen geprägt bin, dass ich auch viel zu oft die Augen davor verschließe, weil es sich in meiner Blase auch ohne Taten ganz gut behaupten lässt, ein toller Mensch zu sein. Das war mal besser, aber jetzt fehlen mir einfach die Berühungspunkte und der Alltag hält einen in Atem. Unterhaltungen wie diese hier erinnern mich daran, dass ich hier weiter an mir arbeiten sollte.
Wobei die der Fairness halber kein christliches Alleinstellungsmerkmal sind. Normen, Moral und Tugenden sind etwas, das selbst ungeachtet der Religion ein jede Gesellschaft prägt. Die zehn Gebote findest du quasi in jeder Religion vor und im Prinzip sind einfach ein Tutorial, wie man mit anderen Menschen koexistiert.
Deswegen ist es vermutlich auch sinnlos, diese Vermischung aufzulösen. Ich denke, hier geht es eher um das fortschreiten. Es gab fast 2000 Jahre lang keine Gesellschaft in unseren Gefilden, die nicht mit der Brechstange christlich geprägt wurde. Wir wissen schlichtweg gar nicht, wie die Entwicklung ohne diesen Einfluss heute aussehen würde. Mein Take: in allen Belangen besser, aber naja…
Freut mich, wenn wir beide draus mitnehmen können :)
Ich meinte auch nicht, dass nur das Christentum diese Normen vorgibt. Aber wenn wir jetzt eben auf muslimische Werte- und Normenvorstellungen schauen, dann kommt den meisten etwas fremd vor. Und dieses Fremdheitsgefühl resultiert wiederum dann oft in Abwertung.
Nehmen wir die Kölner Silvesternacht und die ganzen rassistischen Berichterstattungen danach (glaube das war 2016?). Na klar verhalten sich da als Geflüchtete und vermeintlich muslimisch gelesene Männer einfach richtig kacke. Und dann gibts einen großen Aufschrei, wir müssen unsere deutschen Frauen vor den schützen. Ungeachtet dessen, dass hierzulande einfach jede dritte Frau sexualisierte Gewalt erfährt und wir diese Themen der Dominanzgesellschaft eben sonst egal sind. Natürlich sind andere Religionen für ihre Praktiken zu verurteilen, wenn diese Menschenrechte verletzen. Aber das wird halt oft einfach nur missbraucht, um andere Religionen abzuwerten. Wir haben so viel scheiße am stecken, dass es diesen Menschen nicht ernsthaft um ne Klärung gehen kann, wenn sie nicht auch an den eigenen Problemen arbeiten können.
Ich glaube, man kann ja auch ohne Bildung oder Taten ein guter Mensch sein, wenn man Leute nicht für ihre Anderssein verurteilt und sie so nimmt, wie sie sind. Das gilt natürlich für alle möglichen Arten, anders zu sein. Auch eben gegenüber obdachlosen Menschen oder Leuten in psychischen Krisen z.B. Und da kommen wir full circle zurück zu den Normen. Denn diese ganzen scheiß Normen und Regeln, die die Menschen leben und selber aber nicht merken, ist für so viel Ausgrenzung und Gewalt verantwortlich. Und wenn Leute sich über muslimische Menschen beschweren, dass sie so intolerant wären, aber gleichzeitig mich angewidert anstarren, weil sie mich geschlechtlich nicht einordnen können, dann ist das einfach nur heftige Kackscheiße!
Schwierig. Ich sehe das so: Eine Religion, die so ein Verhalten wie von dir genannt billigt, wertet sich selbst ab, weil sie eben dann über keine Werte verfügt. Aber das ist ja nicht der Fall, natürlich auch nicht im Islam. Da gibt es Punkte, wo man mit dem Finger drauf zeigen kann und sollte und sagen: Das ist veraltet/falsch/dumm/menschenverachtend. Aber diese Punkte gibt es bei den Christen mindestens in dem gleichen Maße.
Der Unterschied ist die Säkularisierung, die nunmal in unserer westlichen Welt stark vorangeschritten ist. In 2016 (? … ich weiß es auch nicht mehr genau) war das nicht vorrangig ein Thema der Relgion, es war ein Thema zweier völlig unterschiedlicher Sozialisierungen, die mit eine Himmelsgewalt aufeinandergeprallt sind. Ich kann mich auch noch an Siutationen erinnern, wo ein Flüchtling in meiner damaligen Lieblings-Studentenkneipe plötzlich seinen Pullermann ausgepackt hat (warum auch immer). Aber seien wir mal ehrlich: diese Situationen haben sich doch sehr schnell relativiert und heute hört man von sowas gar nichts mehr. Aber es sorgt natürlich im ersten Moment für Ärgernis/Irritation, weil es eben eingegenseitiges Missverständnis oder eben eine (meist nicht beabsichtigte) Missachtung von Werten ist. Religion ist indes hartnäckiger und tiefer verwurzelt und lässt extreme Positionen zuweilen zu und legitimiert sie.
Mir ist es wichtig, das hier nochmal zu unterscheiden: Kultur und Religion sind immer verwoben, aber dennoch individuell nicht untrennbar. Und das schöne an Kultur ist eigentlich, dass man sich darüber eben ohne jeden Dogmatismus einander nähern kann - zumindest in der Theorie. In der Praxis besteht leider keine breite Bereitschaft für eine Annährung - und zwar oftmals von beiden Seiten - dann ist der Vektor auch egal. Da müssten wir ran, das müssen wir aufbrechen. Ich weiß, das ist sicherlich auch ein Henne-Ei-Problem, aber wir müssen ganzheitlich mit allen Beteiligten in diese Sache, es bringt nichts, nur die Probleme und Lösungen bei einer Seite zu suchen.
Das kann man, aber ich glaube, dieses Dasein nicht anzustreben, hat andere Gründe als nur Normen und Sitten. Dazu gleich mehr.
Ich stimme dir teilweise zu, teilweise nicht. Also… ja, es stimmt, Normen und Regeln sorgen für Ausgrenzung. Aber eben auch für Inklusion. Das meine ich so: Ich hatte mal das Glück, mich eine Zeit mit philosophischer Staatstheorie zu beschäftigen (bitte nicht drauf festnageln, ich bin heute höchstens noch Küchenphilosoph). Was mir da sehr in Erinnerung blieb, war die Betrachtung von Regeln für eine Gesellschaft, und zwar einmal durch die Bank von Platon über Rousseau bis zu Russell.
Ich fasse das mal so in eigenen Worten für mich zusammen: Eine Gesellschaft, egal welcher Art, braucht gemeinsame Regeln und Normen, um überhaupt friedvoll koexistieren zu können. Das ist im Kern durch Inklusion der Fall und zu den Rändern entsteht dann die Paradoxie des umgekehrten Effektes. Man kann das leider auch an allen möglichen anderen Ecken, auch bei Gleichstellungsthemen, Genderthematik o.ä. beobachten. Die Idee sollte nun eigentlich darin bestehen, diese Normen nicht aufzubrechen, sondern zu erweitern, bis sie sich ggf. selbst verflüchtigen. Aufbrechen bedeutet Gewalt und die erzeugt Gegengewalt. Das mag sich vielleicht gerechter anfühlen, aber es hilft in der Sache leider nicht.
Den Bogen zurückgeschlagen auf das Ursprungsthema der Religion bzw Kultur, um mal dabei zu bleiben, hieße das für mich, dass die Öffnung füreinander im Fokus stehen muss - okay, keine bahnbrechende Neuigkeit soweit. Aber man muss weg vom Verteidigen irgendwelcher Kulturen hin zum bewussten Verschmelzen, denn nur so kann was besseres daraus werden. Ich glaube aber, wer das Problem löst, hat auch den Schlüssel zum Weltfrieden in der Hand.
Zuletzt noch eine kleine Anmerkung, die nichts mit dem Thema, sondern deiner letzten Aussage zu tun hat: Verstehe ich, fühle ich (ich spare mir die Hintergründe, warum). Ist es wirklich so, dass man dich angewidert anstarrt? Ich meine, vielleicht ist es eher Neugier, was auch nervt und ungehörig ist, aber eben vielleicht andere Motive als Ablehnung andeutet.