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    4 months ago

    Meine persönlichen, zusammenfassenden Highlights des Artikels, sehr lesenswert:

    Am Tag des „Vorfalls“ begleitete er seine Tochter zum Dienst, er wollte nach dem Rechten sehen, Techniker und Schauspieler begrüßen. […]

    Es gibt eine Vereinbarung mit dem Theater, den Haupteingang in der Sredzkistraße zu benutzen, auch bei Veranstaltungen, die auf dem Hof stattfinden. „Wir sagen, wir sind vom Rambazamba-Theater, und dann lassen sie uns durch“, erklärt Kunigunde. Aber so einfach war es an diesem Nachmittag nicht.

    Das 18-Uhr-Spiel, Türkei gegen Georgien, hatte noch nicht begonnen, als sie an der Kulturbrauerei ankamen. Der Hof war leer. Am Eingang standen vier Männer: groß, kräftig, schwarz gekleidet, kurz geschorenes Haar, Funkgerät am Gürtel. Sie wollten ihnen Tickets verkaufen: drei Euro das Stück. Leander Haußmann und seine Tochter sagten, sie wollten ins Theater, nicht zum Fußballspiel. Dann seien sie hier falsch, erwiderten die Männer, sie sollten den Eingang auf der anderen Seite benutzen. „Kauft ein Ticket oder geht weg.“

    So ging es los. Mit einem Streit um den Einlass. Darin sind sich alle einig. Was als Nächstes geschah, dazu gibt es verschiedene Darstellungen. Fest steht, dass der Streit eskalierte und Leander Haußmann am Ende verletzt und in Handschellen auf dem Boden lag.

    Zwei Videos hat sie aufgenommen. Im ersten sieht man Leander Haußmann auf dem Kopfsteinpflaster liegen. Er ist kaum zu erkennen, seine Haare stehen ab, sein Gesicht ist schmerzverzerrt, sein Bauch entblößt. Zwei Männer sitzen auf ihm. Ellbogen auf der Schläfe, Hände um die Arme, Knie auf den Beinen. Vier weitere stehen um die Gruppe herum.

    Es sind verstörende Bilder. Die Einlasser sehen aus wie Gangmitglieder. Auf der Facebook-Seite des Firmenchefs sind Tattoos von Totenköpfen zu sehen, ein Vermummter mit dem Logo des BFC Dynamo und ein Shirt, auf dem in Frakturschrift steht: „Ich bin Deutscher und meine Meinung wird zensiert.“ Auf den Ärmeln der Einlasser steht „Umbrella“, auf den Ausweisen der Name einer anderen Sicherheitsfirma: „Steelwood“.

    Auf dem zweiten Video, das Kunigunde aufgenommen hat, sind Polizisten zu sehen, mit gelben Westen, Funkgeräten, Waffen. Sie legen Leander Haußmann, der immer noch auf dem Boden liegt, Handschellen an, durchsuchen seine Tasche, nehmen seine Papiere heraus, schreiben seine Personalien auf.

    Die Security-Firma hat ihm Hausverbot erteilt, die Polizei ihm einen Zettel in die Hand gedrückt, auf dem eine Vorgangsnummer steht. Er war beim Arzt, beim Psychologen, hat sich einen Anwalt genommen. Der Arzt hat die Hämatome auf seinem Oberkörper ausgemessen, ihm Kühlen empfohlen und Schmerzmittel verschrieben, der Psychologe hat eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt, der Anwalt mit der Polizei telefoniert und erfahren, dass gegen Haußmann ermittelt wird. Er geht davon aus, dass das Verfahren schnell wieder eingestellt wird.

    Es könne nicht sein, dass er nun auch noch der Täter sein solle. Und nicht die „Räuberbande“, die ihn und seine Tochter nicht durchlassen wollte, sagt er. „Ich bin aus dem Osten. Ich hab meinen Kindern immer gesagt, ich glaube bis zur Verblödung an den Rechtsstaat, den ich so begrüßt habe. Und jetzt weiß ich nicht mehr, was ich ihnen sagen soll.“

    Heute Vormittag ist er losgelaufen zum zuständigen Polizeiabschnitt 15, Eberswalder Straße, hat den Einsatzleiter verlangt und erklärt: „Von ihrem Revier ist Unrecht ausgegangen.“ Der Einsatzleiter heißt Kebelmann, und wenn Haußmann über ihn redet, wirkt er bereits wie eine Figur aus einem seiner Filme. Herr Kebelmann habe gesagt, die „Jungs“ stünden ja auch unter Adrenalin, das Wort „Gefahrenlage“ sei gefallen. Haußmann zeigte dem Einsatzleiter die Fotos und Videos seiner Tochter. „Das ist die Gefahrenlage, die sie vorgefunden haben.“

    An der Wohnungstür von Leander Haußmann klingelt es. Zwei Techniker aus dem Rambazamba-Theater stehen vor der Tür. […], die Techniker nehmen auf den Sofas Platz, fragen, wie es ihm geht, ob die Polizisten die gleichen waren wie bei Dirk.

    Dirk ist ein autistischer Schauspieler aus dem Rambazamba-Theater, der vor ein paar Wochen auf dem Weg zur Arbeit in einen Friseursalon lief, weil er auf Toilette musste. Er zeigte auf seine Hose, die Friseurin dachte, sie habe es mit einem Exhibitionisten zu tun, rief die Polizei. Als Dirk das Einsatzkommando sah, rannte er los, auf die Schönhauser, setzte sich auf die Straße. Leander Haußmann, der gerade vorbeikam, erklärte den Polizisten, dass „Dirkie“ ein Autist sei, den dürfe man nicht anfassen, sonst werde er panisch. „Erst dann haben sie von ihm abgelassen“, sagt er. „Die hätten sonst das Gleiche mit ihm gemacht wie mit mir.“

    Haußmann klingt, wie viele im Osten gerade klingen. Die dachten, sie seien angekommen im vereinten Deutschland, aber nun, 35 Jahre später, das Gefühl haben, ihre Hoffnungen von 1989 – freie Meinungsäußerung, keine Überwachung, kein autoritärer Staat – hätten sich nicht erfüllt. Die sich Sorgen um die Demokratie im Land machen. Der Vorfall war kein Zufall, so scheint es. Und dass er gerade an der Kulturbrauerei passierte, vielleicht auch nicht.

    Die Kulturbrauerei habe sich in den letzten Jahren verändert, sagt Höhne. Der Senat habe beim Verkauf nicht aufgepasst, die Vorgaben – zwei Drittel Kultur, ein Drittel Kommerz – nicht streng genug festgelegt. Kultur heiße heute vor allem „Sauf- und Feierkultur“. Ein großer Player sei der Soda-Club, der auch die Public-Viewing-Events während der Fußball-EM veranstalte. Am Wochenende gebe es eine harte Partyszene. Die Polizei sei oft vor Ort.

    Pro Spiel seien acht bis 22 Security-Leute im Einsatz. Die Sicherheitslage sei schwierig, erklärt der Clubchef, die Auflagen von Bauamt und Polizei streng. Und widersprüchlich sind sie offensichtlich auch. Am Eingang hängt ein Schild, auf dem steht, der Ordnungsdienst sei angewiesen, „Leibesvisitationen vorzunehmen“ und den Einlass „aus wichtigem Grund“ zu verwehren. Gleich daneben aber hängt ein anderes Schild, auf dem Veranstalter aufgelistet sind, deren Besucher ohne Kontrolle und Ticket durchgelassen werden dürfen. Das Rambazamba ist nicht darunter. „Müsste es aber eigentlich“, sagt Isenthal. Wer ins Theater wolle, habe das Recht, den Hof zu überqueren.

    Und warum wurden Leander Haußmann und seine Tochter dann nicht durchgelassen?

    Isenthal nennt den Vorfall „unglücklich“. Er selbst sei an dem Abend nicht hier gewesen, aber die Sicherheitsleute hätten ihm berichtet, Haußmann sei aggressiv gewesen, habe zwei Mitarbeiter verletzt. Ein Kollege aus einem anderen Club allerdings habe es anders erzählt: „Da lag ein alter Mann auf dem Boden und hat um Hilfe geschrien.“ Es gebe immer zwei Seiten, sagt Isenthal.

    Zurück am Biertisch berichtet Frank Isenthal, der Chef habe ihm gerade erzählt, Haußmann hätte die Sicherheitsleute „paramilitärische Bande“ genannt und gesagt: „Im Osten wärt ihr alle erschossen worden.“ So habe alles angefangen.

    Ein paar Tage später holt Leander Haußmann eine Vorladung aus dem Briefkasten. Er soll bei der Polizei als Beschuldigter aussagen. Tatvorwurf: Hausfriedensbruch, Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.

  • bungalowtill@lemmy.dbzer0.com
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    4 months ago

    Leute, lest Feuchtwanger! Der hat in der Aufarbeitung der NS Zeit in Westdeutschland gefehlt. Lest zB „Erfolg“. Die Stimmung von 1923, die Logik politischen Taktierens, der nationalen Ressentiments auf dem Weg in die Barbarei, wird hier so real, und scheint wie ein Spiegel unserer Zeit.

  • daw@feddit.org
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    4 months ago

    Immer diese Polizisten die Menschen anzeigen die sie unrechtmäßig Niederringen. Mittlerweile so oft mitgekriegt das es mir persönlich ein Muster scheint…

  • Random_German_Name@feddit.org
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    4 months ago

    Auf der Facebook-Seite des Firmenchefs sind Tattoos von Totenköpfen zu sehen, ein Vermummter mit dem Logo des BFC Dynamo und ein Shirt, auf dem in Frakturschrift steht: „Ich bin Deutscher und meine Meinung wird zensiert.“

    2016 wurden bei der Berlinale unter anderem Securities eingesetzt, die als Neonazis aktiv sind und ebenfalls aus dem Umfeld vom BFC Dynamo stammen

    https://antifa-berlin.info/news/1113-militanter-neonazi-als-security-beschftigt

    Der BFC Dynamo ist übrigens einer der Gründe, warum „die Antifa“ in der DDR entstanden ist, weil seine Fans 1987 ein Rockkonzert in der Zionskirche in Ostberlin angegriffen haben und damit eine Reihe von Antifa-Neugründungen entstand

    https://www.der-rechte-rand.de/archive/9145/ost-antifa/